„Arbeite, wenn dein Baby schläft“- Im Gespräch mit Sarah Maaß

Ein Interview mit Sarah Maaß, Geschäftsführerin der ASB Nothilfe Berlin gGmbH, über die Vereinbarkeit von Familie und Kind.

Hallo Sarah, stell dich doch mal in wenigen Sätzen vor. Wer bist du, was bewegt dich?
Ich bin geborene Pariserin, leidenschaftliche Kaffeetrinkerin, Mama eines 3 Monate alten Sohnes und Geschäftsführerin der ASB Nothilfe Berlin gGmbH. Zur Nothilfe gehören die Bereiche Wohnungslosenhilfe, Kältehilfe und Flüchtlingshilfe sowie andere Sonderprojekte wie z.B. die Corona-Impfzentren von 2020 bis 2022 und seit 2022 das Ankunftszentrum in Tegel.
Was mich bewegt? Menschen und insbesondere Frauen zu helfen und zu unterstützen. Ich selbst stehe auch selten still, weder im Kopf, noch was meine Projekte angeht. Und selten kann ich die Finger von neuen Ideen lassen. Aktuell beschäftigt mich die Vereinbarkeit von Hausfrau, Mutter, Geschäftsführerin, Partnerin und „Mich“ und die Frage, wie ich all den Bereichen gerecht werden kann.

Wie ist dein Werdegang? Wie bist du zum ASB Berlin gekommen?
Nach der Schule habe ich eine Ausbildung zur Rettungsassistentin gemacht. Im Anschluss daran habe ich Psychologie und Kognitive Neurowissenschaften studiert. 2020 habe ich meine Promotion abgeschlossen. Mit Beginn der Corona-Krise wollte ich mich sozial engagieren und bin beim ASB Berlin auf dem Rettungswagen mitgefahren. Als die ersten Impfzentren in Berlin ins Gespräch kamen, wurde ich von unserem Landesgeschäftsführer gefragt, ob ich nicht Lust hätte, als Projektleitung für die Corona-Impfzentren zu arbeiten. Nach fünf Monaten bin ich dann Geschäftsführerin der ASB Nothilfe Berlin gGmbH geworden.

Du bist vor kurzem Mama geworden und hast dich relativ zeitig dazu entschieden, wieder ins Berufsleben einzusteigen. Nach wie vielen Wochen hast du wieder angefangen zu arbeiten und wie viele Stunden arbeitest du aktuell pro Woche?
Acht Wochen nach der Geburt meines Sohnes bin ich wieder ins Berufslebens eingestiegen. Seitdem arbeite ich offiziell 11 Stunden pro Woche. Inoffiziell gehört sicherlich eine gewisse Erreichbarkeit über das Stundenkontingent hinaus in meiner Position dazu. Daher ist es aktuell schwierig, eine strikte Trennung von Berufs- und Familienleben einzuhalten.

Was bedarf es aus deiner Sicht, um Beruf und Familie zu vereinbaren? Wie intensiv beschäftigen sich Männer mit dem Thema aus deiner Sicht?
Zunächst einmal ist das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus meiner Sicht kein rein weibliches Thema, sondern ein Thema von Frauen und Männern gleichermaßen. Das heißt, es bedarf zuallererst einer gleichberechtigen Partnerschaft. Die Karrieren beider Partner müssen als gleich wichtig angesehen werden. Ich versuche mich da mit meinem Partner gut abzustimmen.  Es braucht ein soziales Netzwerk und sehr viel Struktur. Es ist kein Zuckerschlecken und durchaus sehr anstrengend. Der Klassiker von „Schlafe, wenn dein Baby schläft“ wird in meinem Fall umfunktioniert zu „Arbeite, wenn dein Baby schläft“. Oberste Voraussetzung ist natürlich ein Baby, was das alles überhaupt mitmacht. Es lässt sich immer leicht reden aus der Sicht von jemandem mit einem Baby, das grundsätzlich sehr zufrieden ist, einen guten Schlafrhythmus hat, und bei dem das Stillen und Fläschchengeben gut funktioniert. Es gibt Situationen, wo sich die Babyzeit nicht mit dem Beruf vereinbaren lässt. Und diese Option habe ich mir immer offengelassen, zu sagen: „wenn das Baby da ist, schaue ich, wie alles machbar ist“.
Dennoch glaube ich, dass es nicht mehr darum geht, dass sich ausschließlich die Frau mit dem Thema beschäftigen muss, sondern, dass wir mehr dahin kommen, sich als Paar gemeinsam damit auseinanderzusetzen und zu schauen, welche Bedürfnisse jeder im arbeitstechnischen Bereich hat und wie man diese umsetzen und vereinbaren kann. Und da gehört es sicherlich auch dazu, dass der Mann Abstriche macht. Ich versuche mich da mit meinem Partner gut abzustimmen, was für wen in welcher Phase wichtig ist.

Wie würdest du deine berufliche Situation beschreiben, bevor du Mama geworden bist? Was hat sich seitdem am meisten verändert?
Vor der Geburt meines Kindes war die Arbeit meine oberste Priorität; besonders, weil ich ein Mensch bin, der auch sehr gerne arbeitet. Ohne Kind galt meine Aufmerksamkeit 100% der Arbeit und dementsprechend konnte ich meine Arbeitszeiten ausdehnen und Themen bis zum Schluss bearbeiten. Seit der Geburt sind Vor-Ort-Termine schwieriger geworden bzw. erfordern eine andere logistische Herausforderung. Die Corona-Zeit hat für arbeitende Eltern sicher den Vorteil gebracht, dass viele Aufgaben aus dem Home-Office möglich sind. Das Einsparen von Fahrtwegen macht an einigen Stellen die Babybetreuung, besonders für stillende Mamas, einfacher.
Die größte Veränderung zeigt sich bisher im Tagesablauf. Die Tage sind nicht mehr planbar, voraussehbar, sondern ich richte mich nach den täglichen Bedürfnissen meines Kindes und schaue dann, wie und wann ich die Aufgaben umsetzen kann. Am meisten habe ich das Level der eigenen Erschöpfung unterschätzt, welches man erreicht. Und das vermeintliche Thema „Stilldemenz“ ist doch präsenter, als ich dachte. Ich darf nicht mehr den Anspruch an meine eigene Arbeit haben, den ich vor der Geburt hatte. Und das bezieht sich nicht nur auf das zeitliche Ausmaß, sondern auch auf die Effizienz, die Schnelligkeit und die Spontanität.

Wie organisiert du die Kinderbetreuung während du arbeitest?
Das Thema Kinderbetreuung würde für mich nicht funktionieren, wenn ich keinen Partner hätte, der sich zu gleichen Teilen an der Betreuung beteiligt. Da mein Partner Vollzeit arbeitet, ist unser Sohn oft Teil meiner Arbeit. Das heißt, die Arbeit wird auf Zeiten gelegt, in denen er schläft. Zum Teil ist er aber bei Arbeitsterminen mit dabei. Zudem haben wir das große Glück, großartige Großeltern vor Ort zu haben, die uns unterstützen.

Was ist deine größte Herausforderung im Hinblick auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf?
Die größte Herausforderung ist das schlechte Gewissen. Ich möchte kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich mit meinem Kind zusammen bin und Mails reinkommen und ich nicht präsent bin. Und gleichzeitig möchte ich nicht in die Falle tappen, zu denken, ich wäre eine schlechte Mutter, weil ich arbeite. Und es ist sehr wichtig, sich auch Zeiten einzuräumen, wo man weder Mama noch Geschäftsführerin ist, sondern auch noch die Zeit findet, die eigenen Batterien aufzuladen. Wir sind als Gesellschaft noch nicht an dem Punkt, alles in Einklang zu bringen. Manchmal fühlt es sich sogar so an, als wenn es schwieriger geworden ist, weil alle Faktoren bedient werden müssen. Ich muss die perfekte Mama, die perfekte Hausfrau, die perfekte Karrierefrau und die perfekte Partnerin sein. Und bei all den Dingen bin ich einer ständigen Bewertung ausgesetzt. Meine Priorität Nummer Eins ist mein Kind und es ist jeden Tag aufs Neue die Kunst, die anderen Bereiche zu gleichen Anteilen fair auf Platz Zwei usw. zu verteilen.
Im Hinblick auf die Karriere, ist die größte Herausforderung, dass sich die Prioritäten verschieben. Priorität Nummer Eins ist jetzt die Versorgung meines Kindes und somit treffe ich Karriere-Entscheidungen nicht mehr nur alleine für mich, sondern immer im Einklang mit meiner Familie.

Müssen sich Frauen heutzutage noch zwischen Karriere und Familie entscheiden?
Ich glaube, dass wir als Gesellschaft noch nicht an dem Punkt sind, wo die Vereinbarkeit von Karriere und Familie soweit ist, wie wir uns das wünschen. Nach meinem Empfinden, sind die gesellschaftlichen Möglichkeiten dahingehend noch sehr bescheiden, um die Vereinbarkeit zu gewährleisten. Ich habe zwar das Gefühl, ich habe den Freiraum meine Arbeit so zu gestalten, dass es passt, aber die Strukturen dafür muss ich selber schaffen.
Beim ASB in Berlin sind wir dahingehend schon weit in dem Maße, wieviel Flexibilität und Freiraum mir bei der Gestaltung der Arbeit gelassen wird. Das betrifft sowohl Arbeitszeiten als auch mobiles Arbeiten. Aber ich bekomme immer noch viel negative Kritik von außen. Das gesellschaftliche Bild von Karrierefrauen und gleichzeitig Vollzeit-Mamas ist da noch nicht angekommen und erstaunlicherweise kommt die Kritik oft von anderen Müttern bzw. Frauen.

Was bedarf es aus deiner Sicht, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch mehr zu unterstützen?
Meiner Meinung nach müssen Kinder mehr Teil der Arbeit werden. Es darf nicht mehr darum gehen, dass das Kind in die Krippe muss, damit ich als Frau arbeiten kann, sondern es sollte dazugehören, dass das Kind auch in einem Meeting zu sehen ist. Sicherlich gibt es Bereiche, in denen dies weniger möglich ist. Der Konflikt darf nicht heißen „Karriere oder Mama“, sondern, dass diese Prozesse noch mehr ineinanderfließen. Ein Faktor ist dabei sicherlich die Flexibilität des Arbeitgebers, ein anderer Faktor ist die gleichberechtige und gleichmäßige Verteilung der Kinderbetreuung. Es muss ein Wille vorhanden sein, Angestellten mit Kindern Rahmenbedingungen zu schaffen, in die sie sich optimal einbringen können.
Darüber hinaus wünsche ich mir, dass wir untereinander als Frauen kulanter und vorsichtiger werden in der Be- und Verurteilung und dazu übergehen, uns zu freuen, dass so viele Elternzeitmodelle möglich sind. Gar nicht zu arbeiten und für die Kinder zu Hause zu bleiben ist genauso gut wie in Teilzeit mit Kleinkind zu arbeiten oder das Kind in die Betreuung zu geben, damit ich wieder Vollzeit arbeiten gehen kann, solange es meinem Kind und mir damit gut geht.

Was tut der ASB Berlin, um dich bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen? In welchen Bereichen wünschst du dir noch mehr Entlastung?
Flexible Arbeitsmöglichkeiten sind da ein ganz wichtiges Element. Der ASB Berlin lässt mir die volle Flexibilität, mir eine Struktur zu schaffen, die für mich funktioniert. Dadurch wird der Druck rausgenommen und hilft mir sehr. Ich habe das Gefühl, dass ich mit Kind willkommen bin. Ein großer Vorteil beim ASB ist, dass ich nicht komisch beäugt werde, wenn mein Sohn und ich zu zweit im Videotermin zu sehen sind. Ich denke, da gibt es andere Arbeitgeber, die das strikter handhaben und dies als unprofessionell angesehen wird.

Gab es vor der Geburt bereits Aushandlungsprozesse, wie dein Arbeitsalltag mit Kind aussehen wird?
Aufgrund der Tatsache, dass ich einen Chef habe, der selber Papa ist, gab es viel Verständnis und Weitsicht, dass ich dieses Thema vor der Geburt nicht entscheiden konnte. Gerade weil der Prozess so abhängig davon ist, wie es mir und dem Baby gesundheitlich nach der Geburt ging. Manchmal bringt es auch nichts, sich den Kopf vorher stundenlang darüber zu zerbrechen, weil die Realität dann meistens doch ganz anders aussieht. Grundsätzlich wird ganz viel Eigenverantwortung vorausgesetzt. Es ist schwierig, nur auf Rücksichtnahme zu hoffen, sondern das Wichtige ist, selbst für sich einzustehen und seine Grenzen klar zu kommunizieren.

Wir sprechen immer viel von Herausforderungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Gab es Situationen, die dir beim Berufseinstieg leichter gefallen sind?
Ich war überrascht, wie gut ich loslassen kann und nicht wie eine „Helikopter-Mama“ das Gefühl habe, meinem Kind gehe es nur bei mir gut. Und der fachliche Austausch hat mir gefehlt. Ich finde es schön, mich zwischendurch auch auf einem anderen Niveau austauschen zu können. Ich muss mir da auch nichts vormachen. Es erfüllt mich sehr, mich um mein Kind zu kümmern, dennoch können bestimmte Prozesse irgendwann repetitiv sein und eine Form von Langeweile an sich haben. Ich ziehe meine Energie auch daraus, meinen Kopf zu fordern, um dann viel aktiver den Mutter-Kind-Alltag zu gestalten. Dennoch ist es jeden Tag aus Neue schwierig, mich von meinem Sohn zu trennen und auch die härteste Erfahrung, die ich bisher je gemacht habe.

Was bedeutet es für dich, Mama zu sein?
Es gibt auf einmal etwas in meinem Leben, was ohne darüber nachzudenken, absolut oberste Priorität hat. Und es vermittelt mir ein Gefühl von Liebe, das ich vorher so noch nicht kannte. Das Allerwichtigste und Allerschönste ist für mich, jeden Morgen das Lächeln meines Sohnes zu sehen.

Und auf der anderen Seite, was bedeutet es für dich, Frau in einer Führungsposition zu sein?
Ich setze mich dahingehend ein, dass es für die Generationen, die jetzt heranwachsen, eine Selbstverständlichkeit ist, Frauen in Führungspositionen zu haben. Dabei geht nicht darum, dass Frauen so werden wie Männer. Feminismus bedeutet für mich nicht, dass wir jetzt alle so wie Männer in der Führung werden, sondern dass die Qualitäten, die wir Frauen haben, gleichwertig geschätzt werden, wie die männlichen. Wir müssen davon wegkommen, sich als Frau behaupten zu müssen. Frauen müssen mit einer Selbstverständlichkeit ihres Daseins auftreten dürfen. Das bringt eine gewisse Form von Selbstbewusstsein mit sich. Das Allerwichtigste ist, dass wir uns die Führung als Frau zutrauen und überzeugt davon sind, dass wir da unseren Platz haben. Wir besitzen alle Soft Skills, die nötig sind, um gute Führungskräfte zu sein. Die Kommunikation spielt dabei eine große Rolle. Es gehört dazu, eine gewisse sachliche Ebene zu halten. Aber es ist völlig falsch gedacht, Emotionen in der Arbeitswelt keinen Platz zu geben.

Welchen Rat würdest du einer frisch gebackenen Mama zum Thema Wiedereinstieg in den Beruf geben?
Zum einem, dass nicht alles vorher schon geplant werden muss. Sondern gemeinsam mit dem Arbeitgeber geschaut wird, wie sich bestimmte Situationen gestalten lassen. Zum anderen, rate ich allen Frauen, sich selbst treu zu bleiben und freizumachen von all den gesellschaftlichen Ansprüchen. Ich rate Frauen, Vertrauen in die eigenen Kompetenzen zu haben. Frauen sollten an ihrem Arbeitsplatz ins Gespräch gehen und Karriereambitionen offen darlegen.

Was würdest du dir wünschen, um das Miteinander aus Beruf und Kind noch besser zu bewerkstelligen?
Ich wünsche mir für die Zukunft, dass jeder das Thema so gestalten kann, wie es sich für einen selbst am besten anfühlt. Und ich wünsche mir dahingehend mehr Unterstützung. Die Zeit, die man mit der Baby- und Kinderbetreuung verbringt, sollte nicht zum Nachteil in einem Lebenslauf führen bzw. nicht als Ausschlusskriterium für eine Führungskarriere sein. Auch für Führungspositionen wünsche ich mir mehr Raum für Teilzeit und viel Flexibilität in der Art, wie man die Arbeit mit Kind erledigt. Zeitlich befristete Teilzeitmöglichkeit hilft, besonders fordernde Lebensphase zu überbrücken. Wenn ich noch einen ganz persönlichen Wunsch äußern darf, ist es der, dass wir aufhören uns gegenseitig zu be- und verurteilen, sondern gemeinsam an der Wertschätzung arbeiten, die ein wichtiger Faktor für Wohlergehen ist.  Die „alten weißen Männer“, für die Mütter in Führungsposition ein Fremdwort ist, die werden von selbst gehen.

Danke Sarah und alles Gute für dich und deine kleine Familie.

Sarah Maaß mit ihrem Sohn. Foto: H. Lehnig/ ASB Berlin